Im Basar

Essen in einem kleinen Istanbuler Restaurant

Shopping alla turca mit Christina und Necati

Christina und Necati sind gute Freunde von uns. Sehr gute. Sie instistierten schon lange nicht mehr, dass wir mal nach Istanbul mitkämen. Ich glaube, sie kapitulierten. Ich bekenne mich schuldig.

von Irene von Salis

 

Bis 1989 fuhr ich jedes Jahr nach Istanbul, verbrachte dort ein paar Tage alleine, mit meinem «Uralt-Brieffreund» oder einer Freundin, wie es sich gerade ergab, bevor ich ans jährliche Volkstanzseminar auf eine der Inseln im Marmarameer weiterzog. Ab 1990 gab es keine Seminare und keine Reisen nach Istanbul mehr.

Ich hörte in der Zwischenzeit, Istanbul habe sich gefühlt verzehnfacht. Deshalb blockte ich jahrelang; meine Erinnerungen sollten ungetrübt bleiben. Anfang 2015 wurde ich von meiner Familie kurzerhand überstimmt. Also keine Ausreden mehr... Christina und Necati verschoben ihre jährliche Frühling-Einkaufstour um eine Woche und reservierten für uns je einen Halbtag für den grossen Basar, resp. den Ägyptischen Gewürzbasar unten am Meer.

Männerschönheit und Frauenschwatz
Marcus beim Kuaför Abdullah

Wir zottelten am ersten gemeinsamen Tag los. Wobei zotteln wohl das falsche Wort ist. Necati ging schnellen Schrittes zielstrebig Richtung Basar vor uns her mit grossen Taschen voller falsch gelieferten Decken und Schokolade für die Händler. Zum Glück hatten unsere erwachsenen «Kinder» schon mal vorsondiert und wussten ungefähr, was sie erstehen wollten.

Erstes Ziel: der Kuaför (ja, so schreibt sich das in Türkisch) im Basar. Marcus, mein Mann, hatte sich seine Mähne extra lang nicht stutzen lassen, und auch Alex, unser Sohn, wollte sich die männliche Schönheitsbehandlung inkl. Rasur, Abflammen unerwünschter Ohrhaare sowie einer Kopfmassage nicht entgehen lassen. Necati begrüsste den älteren Kuaför (der die modernen Haarschnitte auf YouTube lernt) und seinen Angestellten, verhandelte kurz, und unsere Männer waren versorgt.

Christina, unsere Tochter Muriel und ich hatten also genügend Zeit für einen Laden mit gehäkelten Oya-Schmuckketten für Hals und Handgelenk, Silberschmuck und einen Frauenschwatz, bevor wir die gestriegelten, entspannten Männer wieder abholten und wir alle vom Kuaför ein Getränk nach Wunsch offeriert bekamen.

Stoffe und Schwarztee
die Familie beim Aussuchen eines Stoffes

Danach begannen wir eine Tour de Basar der besonderen Art; unsere Freunde bewegen sich traumwandlerisch in diesem 1461 erbauten Laden-Labyrinth; allüberall wurden sie herzlich von Händlern begrüsst. Wir tauchten ein in den berühmten Stoffladen von Murat, der die traumhaftesten Stoffe an die Haute Volée und Normalos wie uns verkauft – gerechtfertigt teuer, aber kein Vergleich zum Schweizer Niveau. Im nächsten Laden wühlten die Jungen in endlosen Varianten von Woll-, Seiden- oder Viskoseschals in allen Farben und Mustern.

Wir tranken den tradionellen türkischen Schwarztee im Glas bei Ahmet, der uns stolz seinen neuen Taschenladen zeigte. In einer der hintersten Gassen öffnete sich die Wunderpforte für Stoffe und Kissenbezüge aus Zentralasien; lustige Tupfenmuster und Ikats aus Seide oder Plüsch beim zurückhaltend-höflichen Emin.

Zmittag und Blüemliturnschuhe
die erstaunte Familie im Schuhladen

Nach zirka drei Stunden brauchten wir eine Pause, und Necati führte uns in einen kleinen Hinterhof, wo wir im Kreise von vielen Händlern ein einfaches, frisches, feines Mittagsmenü genossen. Es gibt einige solcher offener Hinterhöfe: wir sahen uns diese kleinen Licht-Oasen an, so oft sich etwas Tageslicht in die Gassen verirrte. Oft verstecken sich dort grössere Geschäfte, die zu den kleinen Läden im Basar gehören oder eben Imbissmöglichkeiten; wir blinzelten jeweils in die Sonne und genossen ein kleines Rechteck Himmel und die plötzliche Ruhe.

Gestärkt gings weiter: ich erstand bei einem befreundeten Händler der Çanak’s Turnschuhe mit aufgestickten Blüemlis – meine Familie erstarrte und mein Sohn meinte erklärend, ich sei in der Menopause. Nach vielen kleinen Stopps, Schwatzs, netten Begrüssungen und höflich abgelehnten Einladungen, sich zu setzen und einen Tee zu trinken – bei Händlern für Pestemal-Hamamtücher, für antike, wunderschöne Kupferkannen, Tabletts, Pfannen und Töpfe, bei Schmuckverkäufern, Lederspezialisten und Lampenverkäufern – sanken wir im traditionellen alten Café in der Mitte des Basars auf die Stühle zu einem türkischen Mokka (obwohl man inzwischen auch hier Capuccinos oder Lattes erhält).

Basarmoschee und Dachlandschaft
auf den Dächern hoch über Istanbul

Necati führte uns in die kleine Basarmoschee (Schuhe ausziehen, die Damen ein Kopftuch umgebunden; Tipp: am Morgen jeweils eines in die Handtasche stopfen) – eine steile Treppe rauf; das Backsteingewölbe als Himmel, weiche Teppiche unter den Socken, atmeten wir mal fünf Minuten gemütlich durch und beobachteten das Gewusel der Gasse aus einer wohltuenden Distanz.

Christina und Necati sind abgehärtet: acht Stunden aussuchen, abwägen, handeln und sich einig werden – locker fünf Tage am Stück – macht ihnen nichts aus. Trotz mehrmaligen Zwischenfragen: «Es sind schon fünf Stunden vergangen, wollen wir uns nicht trennen, damit Ihr arbeiten könnt?» liessen sie es sich nicht nehmen, uns durch Aussengässchen, lange Gänge und Tore – und nach geschickten Verhandlungen mit einem selbst ernannten Wächter – aufs Dach einer alten Karawanserei zu führen, von wo aus wir eine grandiose Aussicht auf die Dachlandschaft, die Moscheen, das Meer und die Stadt hatten – einfach nur grossartig!

Wir trennten uns nach sechs intensiven, lustigen, lehrreichen und schönen Stunden mit vollen Taschen und eher leerem Portemonnaie. Ein bisschen stolz war ich schon, als mir Christina verriet, noch nie hätten es Freunde von ihnen so lange im Basar ausgehalten. Wir hätten es alle locker noch länger geschafft.

Süsses und Erinnerungen
im Gewürzbasar in Istanbul

Nachtrag: Am nächsten Tag ging das Programm weiter – dieses Mal im unteren, 1664 erbauten Basar, auch Gewürzbasar oder Ägyptischer Basar genannt. Wir deckten uns ein mit frischen Gewürzen, wohlriechendem Rheumaöl für unsere alten Gelenke, mit Trockenfrüchten, Kaffee für die türkische Variante, mit Nüssen und den süssen Versuchungen aus dem Orient wie Baklava, Lokum oder gefüllten Datteln.

Dann trennten wir uns mit vollem Bauch und voller Erinnerungen an zwei intensive, spannende, lehrreiche und lustige Tage mit unseren Freunden, die Kostproben dieser farbigen, dichten orientalischen Welt in ihr Geschäft für ihre Zürcher Kundschaft bringen und deren Augen, Nase und Gaumen damit kitzeln und nähren.