Holzspielzeug
Spielsachen mit Vergangenheit
Im Istanbuler Stadtteil Eyüp haben wir eine kleine Werkstatt entdeckt, in der Frauen Holzspielzeug nach über hundertjährigen Museumsoriginalen nachbauen. Sie lassen dadurch eine alte Tradition des Quartiers wieder aufleben.
Das Istanbuler Eyüp-Quartier, der älteste osmanische Stadtteil, war früher berühmt für seine unzähligen Spielzeugläden, in denen von Hand geschnitztes, gesägtes, gedrechseltes und bemaltes Spielzeug verkauft wurde. Ihre Geschäfte liefen gut, war doch die Eyüp-Sultan-Moschee ein beliebter Wallfahrtsort (ein Gefährte des Propheten Mohammed liegt dort begraben), wo man sich auch nach Hochzeiten und Beschneidungsfeiern Glück und Segen holte. Im Laufe des 20. Jahrhunderts verlor das tradtionelle, handgefertigte Spielzeug an Bedeutung, wurde abgelöst durch industriell hergestellte und deshalb günstigere Produkte und später durch chinesischen Billigramsch. Die Spielzeugläden sind mittlerweile völlig aus den Strassen verschwunden.
Neues Leben für alte Traditionen
Eine Gruppe von Müttern aus dem Quartier will nun der fast vergessenen Tradition neues Leben einhauchen, die alten Zeiten für die Kinder von heute wieder aufleben lassen und gleichzeitig geregelte Verdienstmöglichkeiten für Frauen schaffen. Zum ersten Mal lasen wir von ihrem Projekt in einer Beilage türkischen Zeitung «Zaman». Es ging um die Bedeutung von gutem Spielzeug für die kindliche Entwicklung, um altes Handwerk und die historische Entwicklung von Eyüp. Unser volkskundliches Interesse war schnell geweckt, zudem würde altes Spielzeug gut in unser Warensortiment passen. Nach etlichen Telefonaten mit Istanbuler Freunden, Internetrecherchen und Mails fanden wir auf unserer Februarreise 2008 die Frauenwerkstatt tatsächlich.
Frauenwerkstatt
Nurhan und Tülay, zwei der drei Atelierchefinnen, erwarteten uns mit Kaffee und Kuchen in ihrem winzigen Büro neben dem wunderschön überkuppelten, kleinen Atelierraum am Rande eines Moscheenbezirkes. Während wir uns aufwärmten – es regnete und stürmte an diesem Tag – erzählten sie uns mehr über ihre Arbeit.
Acht Frauen sind im Projekt beschäftigt, grösstenteils Ungelernte, die so einen Teil zum Familienunterhalt beitragen können. Sie arbeiten an grossen Tischen in vergnügter, freundschaftlicher Atmosphäre, im Sommer manchmal sogar draussen in einer schattigen Laube. Produziert werden die Spielzeuge ein wenig auf Vorrat, aber hauptsächlich nach Bestelleingang oder nach Bedarf des kleinen Ladens, den sie in Eyüp betreiben. Sauber in den Regalen gestapelt stehen denn auch Farbtöpfe und Rohlinge, an den Wänden hängen Bilder der Originale und Anleitungen sowie Werkzeuge aller Art. Gesägt werden die Bauteile an elektrischen Maschinen – wohl der einzige Unterschied zu früher.
Hunderjährige Vorlagen
Als ehemalige Bankangestellte hat Nurhan das Geschäftliche unter sich. Tülay beweist grosses Geschick im Verkauf. Immer wieder stellte sie noch was anderes Schönes vor uns hin an diesem Morgen: Puppenwiegen, Wagen aller Art zum Ziehen, Stossräder mit drehenden Aufsätzen und wackelnden Figuren, Riesenräder mit Kabinen zum Drehen, Turner zwischen Holzstäben, Propellerkreisel in Baumnussschalen u.v.m. Alle Spielsachen sind genaue Kopien der zum Teil über hundert Jahre alten Originale im Keller eines Museums, handgearbeitet und mit unschädlichen Farben liebevoll bemalt.
Was mehreren Generationen von Kindern Spass gemacht hat, gefällt hoffentlich auch Mädchen und Jungen von heute. Wir jedenfalls fanden die Spielsachen so schön und das Frauenförderprojekt so unterstützenswert, dass wir davon gleich eine ganze Kiste bestellten. Die farbigen Dinger stehen jetzt zu Preisen von Fr. 10.-- bis 85.-- im Laden bereit. Wir freuen uns, wenn auch für Ihr Kind, Ihre Enkelin oder Ihren Neffen etwas dabei ist.