Cagaloglu Hamam

Die Steinzeitgöttin im Dampfbad

Wer in Istanbul Gelegenheit hat, ein türkisches Bad zu besuchen, sollte es unbedingt tun. Das 1741 erbaute Cagaloglu-Hamam gilt als eines der schönsten. Es ist sehr gut erhalten, gepflegt und sauber. Und es erlaubt Begegnungen mit Putzwalküren in Filzlatschen und der Fleisch gewordenen Venus von Willendorf.

 

Das Cagaloglu-Hamam soll eins der schönsten überhaupt sein, und da wollten wir hin. Von aussen sieht's nach nicht viel aus, man steigt ein paar Marmorstufen hinunter, steigt über ein stoisch unbewegtes, Corgi-ähnliches Hundevieh und nimmt sich erst mal die Zettel in diversen Sprachen vor, die das Angebot erläutern. Wir entschieden uns fürs Zweitluxuriöseste: Bad mit Badeassistenz, Massage und Peeling. Nach Entrichten des wie üblich substantiellen Eintrittspreises wurden wir zur Damenabteilung geführt. Da standen wir nun in einem grossen Raum, um ein Brünnlein gruppierten sich malerisch niedrige, kunstlederbezogene Bänke und Hocker um kleine Cafétischlein, die Wände waren gesäumt von dekorativ durchbrochenen Holztüren mit farbig gemusterten Glaseinsätzen, und in einer Ecke hockte um einen Fernseher eine Ansammlung uninteressierter, untersetzter Putzfrauen in Filzlatschen und hellblauen Nylonmäntelchen.

Brünnlein im Nebel

Als wir eintraten, erhob sich eine gewichtig, schnappte zwei Badetücher (im Hamam sind die nicht aus Frottée, sondern aus relativ locker gewebter, in der Regel karierter Baumwolle) und teilte jeder von uns eine der Kabinen zu, die sich hinter den durchbrochenen Türen versteckten. Innen war's recht kuschelig: Kleiderhaken, frisch bezogenes Ruhebett mit Plastikunterlage, Spiegel, Ablage, Föhn. Wir entkleideten uns also, die Freundin bis auf die Badehose, ich nach türkischer Manier bis aufs Unterhöschen. Als wir, verschämt in unsere Badetücher gehüllt und auf den Hamam-Holzschuhen balancierend, wieder erschienen, führte uns die Putzfrau durch einen feuchten, warmen Marmorraum in das eigentliche Hamam. In der Mitte der Stein, erstaunlich niedrig und ganz flach, den Wänden entlang kleine Brunnen mit Marmorbänken. Zu diesen wurden wir geführt und mit einem geknurrten: «only water, hot later» verlassen.

Es war heiss und stickig, mit einer Luft, die man eher kauen denn atmen konnte, und mein Kreislauf überlegte ernsthaft, ob er sich hinlegen sollte. Doch nachdem ich mit der Hamamschale Wasser geschöpft und mich damit ein paarmal begossen hatte, fühlte ich mich eigentlich ganz wohl, es war warm und sehr angenehm. So plauderten wir, betrachteten die mit farbigem Glas durchbrochene Kuppel, das Sternornament über dem Eingang, die zierlichen Marmorsäulen und -bögen, die nackerten Damen, die sich an den Brünnlein mit Wasser beplätscherten (jedes Brünnlein hatte zwei ornamentale Wasserhahnen, den einen für lauwarmes, den anderen für heisses Wasser). Wobei ich zugebe, dass mir das alles ein wenig wie ein verschwommener, kolorierter alter Stich vorkam, oder ein äusserst impressionistisches Gemälde, da ich ja die Brille im Ankleideraum zurückgelassen hatte. Es war alles sehr verschwommen und romantisch. In regelmässigen Abständen ging die Türe auf und eine der Putzwalküren trat herein, nur in ein Badetuch gehüllt. Nachdem sie sich begossen hatte, stieg sie aus dem Tuch und in ein Unterhöschen, schnappte sich eins der nackerten Mädels und führte sie ihrem badetechnischen Schicksal zu, mit einem Ausdruck, als wollte sie sagen: Nun lasst mal Mama ran.

Venus
Kopie der Venus von Willendorf

Und dann kam eine, die alles schlug. Erst kam fünf Minuten ihr Busen, dann sie, dann fünf Minuten ihre Rückansicht. Ein hübsches, breites, freundliches Landfrauengesicht, kurzer brauner Pagenschnitt und eine Figur wie die Venus von Willendorf. Ich hauchte bewundernd: «Mann, was für ein Bomber.» Schliesslich sieht man nicht jeden Tag eine personifizierte steinzeitliche Muttergöttin. Und wem winkte die Muttergöttin gebieterisch zu? Mir. Sie zeigte mit dem Finger auf den körperwarmen Mittelstein, und folgsam legte ich mich hin. Venus plazierte sich neben mich, gebot mir, mein Höschen auszuziehen, ihre Körpermassen wallten (sie hatte ein Höschen an, aber sichtbar war es unter dem vielen Fleisch nicht). Sie klemmte ein Bein unter meine Achsel, damit ich ihr nicht wegrutschte und sah zu, dass der Dreck wegkam.

Erst mal wurde ich mit einem rauhen, schwarzen Handschuh aus Ziegenwolle abgerubbelt, bis mindestens drei Schichten Hautzellen weg waren. «Turn», hiess es gebieterisch, und ich drehte mich auf den Bauch und liess mich von hinten abschaben. «Sit», gebot die Göttin, und ich setzte mich auf. Nun kamen die Arme dran. Sie stemmte sich meinen Arm gegen ihren voluminösen Busen, um die richtige Angriffsfläche zu haben und peelte drauflos, dass die Hautfetzen nur so flogen. Dann musste ich wie ein besiegter Hund die Gurgel der Abreibung darbieten. «Come.» Und ich kam und wurde mit zwei Kübeln Wasser abgespült, als sei ich ein Parkplatz, von dem man die Zigarettenstummel spülen muss. «Lie.» Wieder lag ich da, wurde diesmal mit mengenweise Schaum eingerieben (der wird in riesigen Schüsseln mit einer Art zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Putzfäden geschlagen), und dazwischen griff sich Venus mit festem, bestimmtem Griff die eine oder andere Muskelgruppe und löste ein paar Verspannungsknoten.

Quietschsauber

«Turn.» «Sit.» «Come.» Wieder wurde ich kübelweise mit Wasser abgespritzt. Nun setzte sich die Göttin aufs Marmorbänklein, ich musste mich zwischen ihre gespreizten Schenkel auf den Boden setzen, ihre Brüste lagen warm auf meinen Schultern auf.... Und dann ersäufte sie mich mit einem Kübel Wasser, den sie mir über den Kopf goss. Während ich noch schnaufte, japste und prustete, schamponierte sie mein Haar mit etwas Mandelduftendem, und kaum hatte ich erstmals Luft geholt, prasselten die Wassermassen wieder über mich hinweg. So ging's mehrmals, und ich dachte, mein letztes Stündlein habe geschlagen, derart blieb mir die Luft weg. Andererseits: wer hat denn schon die Ehre, von der Venus von Willendorf ersäuft zu werden? Und erst noch in quietschsauberem Zustand.

Doch dann hiess es: «Stand» und «me finish, you towel». Mehr musste nicht gesagt werden. Ich war aus der Präsenz der Göttin entlassen. Und so sass ich denn etwas verlassen auf meinem Marmorbänklein und begoss mich gelegentlich mit Wasser, bis auch die Freundin etwas erschlagen und tropfnass antrottete, den kundigen Händen ihrer eigenen Walküre entkommen. Wir genossen noch eine Weile die verwunschene Dampfatmosphäre, dann wickelten wir uns ins nasse Badetuch und staksten von dannen. Im Vorraum reichte uns eine Putzfrauenwalküre in Filzpantoffeln je zwei Handtücher und wir zogen uns in unsere Kabäuschen zurück, in denen uns eine weitere Gottheit mit einer Menukarte aufschreckte, bei der wir Saft oder Kaffee bestellen konnten. Nachdem wir uns wieder präsentabel gemacht hatten, setzten wir uns draussen noch ein wenig hin, guckten dem Treiben und der Hamamkatze zu. Dann zogen wir sauber, hochglanzpoliert und erfrischt davon.