Erinnerungen an Istanbul

Blick über die Dächer Istanbuls und das Marmarameer

Ihr macht Euch ja gar keinen Begriff

Wir kamen an. Der Flughafen ist, wie Flughäfen so sind, und draussen stand tatsächlich ein Herr mit meinem Namen auf einem Schild, und so wurden wir in einem Minivan vom Flughafen ins Hotel befördert. Das hört sich nun sauber und speditiv an, aber das ziiiiiiiieht sich. Man fährt auf einer vierspurigen Schnellstrasse dem Meer entlang, überall sind Häuser und noch mehr Häuser und noch viel mehr Häuser, und man ist immer versucht rumzuschreien: Guck' mal, ein Türke! Guck' mal, eine Moschee! Guck' mal, das Meer! Ein Fischmarkt! Eine Ruine! Tut man aber nicht, man ist ja gebüldet.

von Jindra Strnad

 

Istanbul ist riesig. Rieeeeeesig. Ihr macht euch ja gar keinen Begriff. Enorm, ein wahrer Moloch. Man kann geruhsam eine Stunde Fähre fahren, dann eine halbe Taxi, und immer noch in Istanbul sein, und noch nicht mal am Stadtrand. Und weil in Istanbul auch noch auf gewissen Gebieten Zustände herrschen wie bei uns im Mittelalter – wie es bei uns eine Bäckerstrasse, eine Schmiedgasse, eine Strasse der Fisch- oder Gemüsehändler gab, so gibt es in Istanbul ein Quartier, wo man strassenweise nur Lampen findet, eine ewiglange Strasse mit Brautkleidern, ein Quartier, in dem das Nachtleben blüht – gibt es mehrere Zentren, je nachdem, was man so sucht. Als Bildungsbeflissene wohnten wir natürlich nicht mitten im Nachtleben, sondern in «old Istanbul», wo die Sehenswürdigkeiten sind.

Sultanahmet Moschee
Die Lichterkränze der Sultanahmet Moschee

Meines unmassgeblichen Erachtens nach ist die Sultanahmet Moschee, genannt die «Blaue», die mit den sechs Minaretten, eines der perfekten Bauwerke dieser Erde. Sie ist schön, überwältigend schön, egal, von wo man kuckt. Eigentlich würde es genügen, ein Zimmer mit Aussicht auf das Ding zu beziehen und sie eine Woche anzustarren. Man wäre doch in Istanbul gewesen. Meditieren könnte man bei dem Anblick. Echt wahr.

Man geht bei einem Eingang rein, fasst einen Plastiksack, in dem man die Schuhlein verstaut (und den man am anderen Ende wieder abgibt), eventuell, so man weiblich ist und keins hat, noch ein Kopftuch, und dann betritt man einen grossen, riesigen, immens hohen und weiten Raum. Leere bis unter die höchste Kuppel, getragen von unauffälligen Säulen mit dem Durchmesser eines regulären Wohnzimmergrundrisses und eingefasst in Abertausende der schönsten blau gemusterten (daher der Name der Moschee) Kacheln. An einem Geflecht von Drahtseilen, die den grossartigen Blick in die Kuppel unverbaut lassen, hängen ganz tief mehrere Leuchter, wohnungsgrosse, luftige, mit Lämpchen bestückte runde oder rechteckige Eisenrahmen, die knapp einen Meter über dem Durchschnittskopf einen warmen Schein auf die mit gebetsteppichgrossen Feldern bedruckten, pieksauberen Teppichbahnen streuen. Farbige Glasfenster in komplexen Mustern, und Galerie über Galerie über Galerie von klaren, Licht spendenden Fenstern. Gott ist hier Raum und die Luft, die wir atmen.

Hagia Sophia - Ayasofya
Die Hagia Sophia im Abendlicht

Die Ayasofya sieht von weitem aus wie ein weiterer Moscheen-Prachtsbau (vier Minarette! Und Goldkuppel!), aus der Nähe sieht man, dass jeder, der dem Bau die momentan aktuelle Religion aufzwang, auch architektonische Gelüste hatte, dort einen Bogen oder ein Fenster zumauerte, um gleich nebenan ein anderes Fenster oder einen Bogen hinzuhauen, die dann ihrerseits in der nächsten Umbauphase zugemauert wurden usw. ad infinitum. Heute ist das Teil keine Kirche irgendeiner Art mehr, sondern Museum. Dementsprechend blättert man ein recht sattes Eintrittsgeld hin. Vorneweg sind ein paar Blumenbeete und Bäumlein, dazwischen dekorativer Bauschutt, also Säulen und Kapitelle und so aus den historischen Umbaubestrebungen.

Innen ist es gross. Und dunkel. Und wieder leer bis in die Kuppel. Daneben reihenweise reizendst mit Vegetation bemeisselte Kapitelle, wuchtige Riesensäulen, Marmoramphoren und wunderbar gearbeitete Goldmosaike bis zum Abwinken. Die ganze Kuppel ein einziges goldschimmerndes Mosaik. Das Ganze ist äusserst eindrücklich und ein wenig bedrückend. Gott ist Macht und Pracht in der Ayasofya.

Topkapi Palast

Also: da gibt's erst mal einige Tore und Höfe gigantoiden Ausmasses. In den einen Hof durften die Abgesandten und Bittsteller, in den nächsten die höheren Abgesandten, sofern sie reingebeten wurden, usw. Es war nicht einfach, Sultans zu besuchen. Irgendwo stehen ein paar Menschenschlangen sich die Beine in den Bauch und harren der Aushändigung horrend teurer Tickets (die Einheimischen dürfen günstiger, gottseidank, sonst könnten sie sich ihre eigene Geschichte nie im Leben anschauen). Weitere Tore, Pavillons, Kioske, Aussichten. Sultans wussten zu leben.

Beim Anblick der Schatzkammer wundert man sich erst mal nimmer, dass die Dynastie sich so lange halten konnte. Die trugen tonnenweise Talismanhemden, die von oben bis unten mit Glück- und Segensbringendem beschrieben sind (und mit Gold und Silber...). Das konnte offenbar längere Zeit selbst den Zuständen bei Hofe entgegenwirken. Ausserdem tranken Sultans offenbar – während sie in einem der diversen wunderbar gekachelten und ziselierten und dekorierten Kioske loungten, mit der Linken in einem Kästchen ungefasster Edelsteine wühlten und mit der Rechten reiche Geschenke und klunkerbesetzte Orden von allenthalben entgegennahmen – jeden Tag aus anderen juweleninkustrierten Kaffeetassli, lasen den Koran nur in edelsteinbesetzten Hüllen, akzeptierten keine Turbannadel mit einem Edelstein unter fünf Zentimeter Durchmesser und hatten es überhaupt ganz reizend.

Yerebatan Sarayi
Die Medusa im Yerebatan Sarayı

Erst ging es ein Trepplein runter, dann wurde es schwül. Wir hielten inne und schluckten erst mal leer. Unten, im malerischen Halbdunkel eines riesenhaften Raumes, stehen Säulen im Wasser. Hunderte von Säulen (330 oder so ähnlich. Man schaue im Lexikon nach). Im Hintergrund dudelte türkische Esomusik, und man hörte das Wasser von den kleinen Backsteinkuppeln, die sich jeweils zwischen vier Säulen wölben, runtertropfen. Vielleicht waren's ja auch die Goldfische und Riesenkarpfen und sonstigen Fischlein, die da im Wasser rumschwappen. Wenn man keine Zeit für Istanbul hat (Hat man sowieso nie. Dazu braucht man ein Leben!), gibt es eigentlich nur zwei Dinge, die man sehen muss: die Blaue Moschee von aussen, und die Zisterne von innen. Das sind die Highlights der Highlights, der absolute Gipfelpunkt. Könnte ich jeden Tag anschauen. Problemlos.

Die Zisterne, sinniger- und angebrachterweise auch der «versunkene Palast» genannt, wurde von Kaiser Justinian erbaut und lieferte Wasser für Paläste und sonstiges. Meiner Meinung nach war der Justinian ein ganz sparsamer. Wozu Handwerker bezahlen, die einem massenweise Säulen meisseln, wenn doch so Zeugs überall von irgendwelchen Urkulturen rumliegt? Also schickte er seine Mannen aus, denke ich mir, und liess mal Säulen einsammeln. Und Kapitelle. Und noch ein paar Schroppen, um die zu kurzen Säulen zu unterlegen. Und dann liess er die Zisterne bauen. Aufs Schöne kams ja nicht an, würde doch alles unter Wasser stehen. Einige Säulen sind denn auch ganz glatt, einige sind kannelliert, eine hat ein Tränen- oder Pfauenaugenmuster. Einige stehen auf einem Sockel, einige auf keinem, einige auf zweien, und die Kapitelle sind auch etwas zusammengewürfelt. Macht nix. der Eindruck ist so oder so schlicht unbeschreiblich.

Zwischen den vielen, vielen Säulen windet sich ein Betongehsteig, auf dem man inmitten dieses steinernen, versunkenen Waldes rumspazieren kann. Es gibt auch einen Wunschbrunnen. Und die Medusen. Da ist ein Teil der Zisterne trockengelegt, damit man zwei gigantische, phänomenale, leicht algenbegrünte Medusenköpfe bewundern kann, die unter zwei kurze Säulen geschoben sind, der eine auf der Seite liegend, der andere auf dem Kopf. Die Wissenschaftler vermuten Absicht und zerbrechen sich die Köpfe über die Lage der Steinschädel, aber meiner Meinung nach passten sie halt so gerade unter die Säulchen, und ob da ein Kopf auf dem Stein drauf war oder nicht, war den Zisternenmaurern völlig egal. Gefunden wurden die Köpfe übrigens erst in den achtziger Jahren von den Zisternenputzern. Wir lustwandelten, unter Ah's und Oh's, und den vor Bewunderung abgesackten Unterkiefer festhaltend. Im Hintergrund dudelte inzwischen Vivaldis Frühling, einen Hauch zu lüpfig fürs Ambiente. Am Ende des Rundgangs gibt's ein reizendes Café, wo man sich mit Tranksame und einem letzten Blick auf den Säulenwald stärken kann. Taten wir. Dann kamen Horden von Japanern, Spaniern und Germanen die Treppe runtergedonnert und wir entfleuchten.

Der gedeckte Basar - Kapali Çarsi
Der gedeckte Basar in Istanbul

Also: der Gedeckte Basar, der kapalı çarsi, ist riesig. Über 4000 Geschäfte. Er ist heiss. Er ist unübersichtlich. Er ist voll. Er ist laut. Erst mal kommt die Goldstrasse, die einen in einen von beiden Seiten und in ihrer ganzen beträchtlichen Länge in derartigen Glanz badet, dass jegliche Lust vergeht, in irgendein Schmuckgeschäft reinzugucken. Davon zweigen die Leder-, Teppich-, Keramik-, Antiquitäten-, Krimskrams-, Musik-, Stoffstrassen etc. ab. Und alle, alle Händler preisen ihre Ware lautstark an, zerren Touristlein und anderes Volk vokal und physisch in ihre Läden, sind unangenehm aufdringlich (es gibt allerdings auch andere!) und teilweise sogar unfreundlich, wenn man nicht gleich in rasende Kauflust verfällt.

Was uns nicht hinderte zu gucken. Wieder, wie schon vor Jahren, konnte ich, da im Basar das Überangebot jegliche Kauflust meinerseits brutal niederschlägt, mich nicht dazu durchringen, eine Schale mit den typischen langgezogenen Tulpen und stilisierten Nelken der türkischen Kacheln zu kaufen. Ich hab's damals bereut und bereue es wieder. Muss unbedingt noch mal hin, eine Schale kaufen! Erschöpft von all dem Getümmel liessen wir uns von einem Winzigstkneiplein anlocken, sanken auf die Stühle (der mittagessende Angestellte wurde unbarmherzig von seinem Chef verscheucht. wir waren schliesslich zahlende Kundschaft) und assen etwas, was man sich in der offenen Küche mit Fingerzeig bestellen konnte, und das ganz nett schmeckte. Gestärkt enterten wir wieder den Basar, allerdings ging uns drei Strassen weiter die Puste und die Nerven aus, und wir ergriffen, vom Basar geschlagen, die Flucht.

Der Gewürzbasar - Misr çarsisi
Süssigkeiten und Trockenfrüchte im Ägyptischen Basar

Im Ägyptischen Gewürzbasar (mısr çarsisi) riecht's erst mal toll, und neben einigen wenigen Läden mit Kissen, Teppichen, Keramik und dergleichen gibt's hier vor allem massenweise Läden mit «turkish viagra» (mit Nüssen gefüllte Trockenfeigen), Safran und anderen Kräutern und Gewürzen, Heil- und sonstigen Tees, Trockenfrüchten (alles adrett und verlockend zu Hügeln und Bergen aufgetürmt), kuriosen Grünen Pasten, die wahlweise enorme Potenz oder immerwährende Gesundheit versprechen, dann den zweitbesten Baklava-Spunten der Stadt und diverses mehr.

Von den Decken hängen schnurweise getrocknete Peperoni und Auberginen, die wie mumifizierte Tintenfischkörper wirken, getrocknete Okra-Schoten, irgendwelche aufgefädelte Blüten und vieles mehr. In Säcken stehen Datteln, getrocknete Maulbeeren, «Atome» (Kugeln aus gewürzter, dick eingekochter Karottenpaste, in Pistazien gerollt, köstlich!), aufgefädelte Nüsse, die in Traubendicksaft getunkt und getrocknet wurden – kurz die kuriosesten Dinge.

Eminönü und Tahtakale
aufgefädelte Weissdornfrüchte an einem Früchtestand in Eminönü

So richtig interessant ist es im Gassengewirr gleich ausserhalb der Halle. Hier gibt's Fische, die so frisch sind, dass sie überhaupt nicht riechen, die tollsten Käse, frisches Gemüse, zum Platzen reife Feigen, Berge von verschiedenen Dattelsorten, die besten Trockenfeigen überhaupt, eingelegte Weinblätter, getrocknete Aprikosen, Hügelzüge verschiedener Peperoni- und Tomatenpasten..... Läden, die Plastiksäcke verkaufen, solche, die Noppenfolie verhökern, oder diese Plastikhälse, an die dann Juweliere im Schaufenster ihre Klunker hängen. Läden mit Kölnischwasser, Läden, in denen es bloss Wallhölzer gibt, genoppte, gerillte, glatte, breite, schmale, schwere, leichte..... und dazwischen auf den Kreuzungen Karren, von denen jemand Granatäpfel, Pistazien oder die allgegenwärtigen Sesamkringel verkauft oder auf denen einer frischen Orangensaft presst.

Und dann zwängt sich ein Kleinlaster durch die Menge, die Karren ergreifen die Flucht, die Kauffreudigen werden in Auslagen mit Spielzeug, Türklingeln, die wie Kanarienvögel zwitschern, Armbändern oder elektrischen Heizöfen gedrängt, während sich das Fahrzeug zentimeterweise vordrängt und die Muezzins von der Basarmoschee und ein paar anderen in der näheren und weiteren Umgebung zum Gebet rufen. Hier kauft ganz Istanbul ein, von der Hausfrau bis zur Modeschöpferin, die ein paar Accessoires oder Knöpfe braucht. Hochinteressant und erschöpfend das Ganze. Vor allem, weil wir, da es nach baldigem Regen aussah, schon gleich zu Anfang kiloweise Trockenfrüchte gekauft hatten. Irgendwann konnten wir nicht mehr und pausierten im reizenden Café «Old Istanbul» in einem umgebauten Hamam, bevor wir, vom Tohuwabohu erschöpft, aber erfüllt den Heimweg ins Hotel antraten.